Trost bei Tod - Der Geist und sein Leib - Der Prophet Jakob Lorber

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Der Geist und sein Leib


Im armen Stübchen ruht die Leiche.
Die Freunde stehn um sie herum
und seh'n noch einmal auf das bleiche
Gesicht und weinen, trauern stumm.

Wohl trocknen sie die heißen Zähren ,
doch nicht versiegt der Wehmut Strom;
denn bald soll'n sie gar hart entbehren
den, der da war so gut und fromm!

Als sie dann aus der Trauerkammer
zurück sich ziehn ins Schlafgemach
und sie da hält ihr tiefer Jammer
vom Schlafe los und trauernd wach,
da zuckt herab ein heller Schatten
zur Bahre hin im Mondesstrahl.

Denn eh' den Leichnam sie bestatten,
will er ihn seh‘n zum letzten Mal.
„So hab' ich dich“, spricht er, „verlassen,
hab wie ein Kleid dich abgelegt.
Ich kann noch kaum die Wonne fassen,
in der mein Sein sich nun bewegt.

Ich, nun ein freies, rein'res Wesen,
bin leicht beflügelt, hell und klar.
Ein neu Gewand ist mir erlesen,
viel hehrer als dies alte war.

O Tod! – wie doch so sanft gelinde
hast du im Schlummer mich entrückt!
O wie ich mich nun seligst finde
und über jeglich Maß entzückt!

Wie macht mich der Gedank' nun bangen,
dass nur auf eine kleine Rast
der Leib mich wieder könnt' umfangen
mit seiner schweren, toten Last!

Wie zogst du mich zu toten Freuden,
o Leib, oft wider Willen hin!
Wie musste drum mit dir ich leiden
für schlechten Lohn, für Tod's Gewinn!

Doch fühl ich jetzt ein Mitleidsbeben
und muss hier einen Dank dir weihn;
war nackt auch unser ein'ges Leben,
so konnt' ich doch ohn' dich nicht sein!

Du gabst mir wohl auch manche Wonnen,
so sie, die nun der Schlaf umhüllt,
des Hauptes seelenvolle Sonnen,
entzückete der Schönheit Bild.

Wenn süße Tön' das Ohr umflossen,
die Hand gedrückt des Freundes Hand,
wenn meine Arm' ein Glück umschlossen
und selbst die Lippe Lieb' empfand.

Doch nun bist du allein geblieben.
So sink' denn auch allein zur Gruft!
Ich hab' ja alles schöner drüben,
dort in der Himmel reinster Luft!

Nur eins stört meinen sel'gen Frieden
und macht mir ein wehmütig Herz:
Die, welche ich beließ hienieden,
ergeben sich zu sehr dem Schmerz!

Ich hör' sie mächtig um mich weinen,
der süße Schlaf erquickt sie nicht!
Wie gern doch möcht' ich euch erscheinen,
umstrahlt vom hellsten, klarsten Licht!

Wie gerne möcht' ich euch entdecken,
welch eine Wonne mich umfleußt!
Doch würdet ihr gar sehr erschrecken.
Ihr scheut ja den verklärten Geist!
So will ich harren an der Schwelle
und nur ganz heimlich nach euch sehn.
Und fließt um euch des Schlafes Welle,
mit leisem Tritte zu euch gehn.

Da will zu eurem Haupt ich treten,
umwehen es mit sanftem Hauch,
euch segnen, liebend für euch beten
– denn solches ist der Sel'gen Brauch.“


Dies Liedchen ist gut und wahr, daher soll es wohl recht beherzigt werden. Es gibt zwar schon ähnliche Lieder in guten Reimen, aber es klebt ihnen noch so manches Irdische an, darum sie auch minder zu beachten sind. Dieses aber ist geistig wahr und rein.! Darum soll es denn auch beachtet sein von jedermann! Denn es stellt wirklich eine Abschiedsszene eines guten Geistes von seinem irdischen Leib dar.
Ganz besonders aber sei dieses Liedchen dem Töchterchen J. des A. beschieden zu ihrem Leibesgeburtstag, damit sie in eben dieser Kleingabe ersehen möge, um wie vieles der Geist besser ist als der dem Tod anheimfallende Leib.
Sie soll aber darum etwa nicht sterben oder einen Tod befürchten, sondern nur daraus den hohen Wert des Geistes vor dem Leib erschauen. Amen.


Jakob Lorber am 24.Juni 1843, Himmelsgaben, Bd.2, S.224.






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