Thuarims Gesicht
Thuarim erzählt, was er hinsichtlich seiner Selbstbeschau erlebt hat: „Also aber war dieser mein schauderhafter Zustand beschaffen: Als ich heimlich etwas ärgerlich darüber nachdachte, gleichsam mir selbst sagend: ,Was soll das heißen: in mich selbst schauen? – Klingt das nicht wie ein barster Unsinn?! So Du unser Schöpfer bist, da musst Du ja doch wohl wissen, wozu Du einem die Augen gegeben hast?! Bis jetzt hat noch jedermann sich derselben nach außen hin bedient; wie soll ich jetzt denn auf einmal dieselben gänzlich umkehren – was mir rein unmöglich ist – und in mich hineinschauen und daselbst erfahren, wie es da aussieht in meinem Leibe?!‘ Ich versuchte darauf wirklich eine Zeitlang die Augen so viel als nur immer möglich zu verdrehen, dass mir darob förmliche Feuerflammen aus den Augen brachen gleich feurigen Kreisen und ich gar gewaltig davor erschrak. Aber alles das war dennoch ein ganz vergebliches Abmühen; denn so ich meine Augen wieder zur gewöhnlichen Ruhe brachte, da sah ich dennoch nichts anderes als nur das, was da außen um mich her sich befindet. Ich sah auch bald den einen und bald den andern von meinen Brüdern an, konnte aber an keinem etwas entdecken, das mir als etwas ganz Besonderes hätte auffallen können. Da ich somit durchaus nichts habe finden können, da ward ich dann doppelt ärgerlich und dachte mir wieder dabei: ,Das ist sicher nichts anderes als eine pure Versuchung an meinem Verstande! Aber so dumm bin ich ja dennoch nicht, als man vielleicht der guten Meinung ist! Daher gebe ich nach als der offenbar Verständigere und lasse die anderen ungestört ihrer Narrheit über, so sie eine Freude daran haben; ich aber bleibe bei meiner guten, alten Ordnung! Es soll in sich schauen, wer da will, mag und kann; ich aber gebrauche mein Augenpaar lieber zu dem Zwecke, für welchen sie mir vom Schöpfer aus verliehen wurden!‘ Und also kam ich wieder aus meinem Ärger heraus und ward ruhig.
Aber meine vermeintliche Ruhe dauerte nicht lange; denn die Erde unter meinen Füßen wurde bald so locker wie ein leichter, trockener Sand oder wie frisch gefallener Schnee, und ehe ich es mich versehen konnte, war ich schon begraben im tiefsten Abgrunde der Erde! Da ward es denn überfinster um mich her, und ich konnte mir mit den Händen kaum so viel Raum vor dem Munde machen, dass ich allersparsamst atmen konnte. In dieser allergrößten Not dachte ich dennoch an Dich, Du heiliger Vater, und flehte um Hilfe und Rettung Dich an. Allein mein Flehen verlor sich in den endlos nach allen Seiten mich umgebenden Sand, und anstatt, dass mir da eine Rettung wurde, sank ich nur stets tiefer und tiefer hinab in den grundlosen Sand der Erde; und als ich ganz verzweifelt also sank und sank, da kam mir denn auf einmal ein gar ekeliger Geruch entgegen, und der war ärger, ja der war unaussprechlich ärger denn jeder Gestank auf der Erde, den je meine Nüstern empfunden haben!
Und siehe, da auch hatte bald der Sand ein Ende! Ich war des froh; denn ich dachte mir da: ,Es ist sicher die Errettung über mich gekommen!‘ Aber wie unaussprechlich entsetzlich wurde ich in dieser meiner frohen Erwartung getäuscht! Denn jetzt fing erst ein Elend an, für das ich wahrlich keine Worte finde, um es genügend darzustellen. Nur so viel kann ich sagen, dass ich da, wo der Sand aufhörte, alsbald in einen heißen Schlamm sank, der da stets heißer und stinkender wurde, je tiefer ich sank.
O Du heiliger Vater! Welche entsetzliche Not und Angst ich da ausgestanden habe, als ich merkte, dass das Sinken nimmer ein Ende nehmen wollte und der Schlamm selbst anfing, sich in eine glührote Asche umzuwandeln und diese endlich selbst wieder in ein ganz weißglühendes Chaos gleich dem, das da öfter den brennenden Bergen entströmt, – wäre mir unmöglich mit der Zunge zu schildern!
Diese glühflüssige Materie verursachte mir den allerunausstehlichsten, brennendsten Schmerz und vermehrte dadurch meine unaussprechliche Qual ums unendlichste, da mich diese ewige Glut dennoch unverzehrt ließ und nicht ein einziges Haar auf meinem Haupte zerstören wollte oder konnte! Hier konnte ich nicht mehr bitten und beten, – sondern mein ganzes Wesen war da ein Fluch über alles, was mir zu einem so elendsten Dasein verhalf! Aber je mehr ich ergrimmte, desto tiefer in das stets heißer und heißer werdende Glühmeer sank ich hinab!
Als es also denn stets schrecklicher und schrecklicher ward, da rief ich in der allerfurchtbarst erschrecklichsten Verzweiflung aus: ,Gott, Du schrecklich grausamstes Unding! So Du irgendwo bist, da vernichte mich; denn für dieses Dasein kann ich Dir nicht einmal fluchen, geschweige erst danken!
O Du elender, allererbärmlichster Gott! Welchen Reiz kann Dir denn das gewähren, darum Du mich erschufst für solche Qual?!‘
Und siehe, als ich also erschrecklich rief und schrie, da vernahm ich denn plötzlich einen starken Donner, und der Donner rief und redete zu mir: ,Elender, Ohnmächtiger! Warum fluchest du Mir, deinem Vater?! Siehe, Ich zeuge dich nun im Feuer Meiner unendlichen Liebe zu einem ewig unsterblichen Wesen, das da Mir völlig ähnlich sein soll, und führe dich an Meiner Vaterhand, auf dass auch nicht ein Härchen deines Hauptes zugrunde gehen soll, und habe die ganze Dauer dieser deiner Liebefeuerprobe nur auf drei Augenblicke lang nach irdischer Rechnung bestimmt, und schon hast du darum den schrecklichsten aller Flüche gegen Mich ausgesprochen! Was soll Ich nun mit dir tun?‘
Und ich erwiderte darauf: ,O Du überheiliger Vater! Vernichte mich; denn nun bin ich des Daseins nicht mehr wert, da ich Dir geflucht habe!‘
Da umwandelte sich das Glutmeer plötzlich in ein sanftes Licht, und aus diesem Lichte vernahm ich wieder Worte, die also lauteten: ,Siehe, Ich, dein Vater, fluche nicht und will vergessen, was du Mir angetan hast; denn was du jetzt gesehen, war dein stetes Verhältnis auf der Erde zu Mir. Aber erkenne jetzt doch, dass Ich, dein Vater, es bin und ziehe dich zum ewigen Sein durch all deinen Lebenstrugsand, durch deinen Weisheitsschlamm und durch deine arge Glut in das reinigende Feuer Meiner Vaterliebe, und endlich durch dieses zum reinsten Lichte des ewigen Liebeslebens in Mir! Und so kehre denn mit diesem Bewusstsein wieder zurück auf die Erde, allda Ich deiner harre! Amen.‘ Und ich ward wieder plötzlich hier (HGt.02_075,06-37).
Die Deutung des Gesichtes
Dein äußerer Versuch, mit den Leibesaugen in dich zu schauen, stellt das törichte Abmühen des Weltverstandes vor, da er in geistige Verhältnisse eindringen will, während er doch von nichts als nur von lauter materiellen Begriffen sich selbst bildend zusammengestellt ist, das heißt, er ist nichts als nur ein Aufnahmeorgan der Seele, durch welches diese zur Anschauung der Außenwelt gelangt. So er aber nur das ist, wie sollte er hernach können Geistiges erschauen und, wie gestaltet dasselbe ist, in sich erfassen?!
Die feurigen Kreise aber, die deine Augenverdrehung hervorgebracht hatte, bedeuten die sogenannten Witzfunken des Weltverstandes, welche ihm aber fürs geistige Schauen eben so viel nützen wie die Feuerkreise den naturmäßigen Augen, – das heißt, er wird dadurch geradesowenig schärfer und gesünder wie das naturmäßige Auge durch derlei Anstrengungen und Quetschungen.
Siehe, das ist der Anfang deines Gesichtes, und das geht nicht dich an in diesem deinem inneren Zustande, sondern die ganze Welt, darum Ich dich nun ihr zu einem Propheten gebe auf diese Art, wie du es an und in dir erfahren hast.
Du warst aber dabei ärgerlich, und zwar einmal sogleich, als Ich euch beheißen habe, dass ihr alle in euer Inneres schauen sollet, und dann, als du deine Versuche gemacht hast und dennoch nichts auszurichten vermochtest. Siehe, auch dieser Ärger war kein natürlicher Ärger mehr, sondern er kam darum über dich, auf dass da angedeutet würde der Hochmut des Weltverstandes, der da nie ein Gefangener sein will in der Wahrheit, sondern frei und ein Herrscher bei allem Mangel des Lichtes und sich nur dann glücklich wähnend, so von allen Seiten seiner Dummheit gehuldigt wird, und ruhig nur dann, wenn er mit Spott und Hohn seinen Brüdern auf den Köpfen, sich herablassend, herumsteigt!
Siehe, solches gehet dich auch nun nicht mehr an; denn darum habe Ich dich zu einem Propheten gemacht, dieweil du keine Schuld in deinem Herzen hattest!
Solches alles bedeutet sonach dein Gesicht bis dahin, als du in den Sand zu sinken anfingst; was aber besagt hernach der Zustand, da dich die Nacht des Sandes in sich begrub und du dann stets tiefer und tiefer sankest und hattest Not mit dem Atem und batest um Errettung, die dir aber nicht zuteil wurde? Siehe, hier fängt schon deine innere Erklärung an zu wirken und zu leuchten!
Der Sand aber bedeutet alle die Wisstümlichkeiten, wenn sie anfangen, völlig das Herz der Seele gefangen zu nehmen, wodurch dann dieses in große Angst und Verwirrung gerät ob des Druckes und der Nacht, – was alles der Verstand über das arme Herz verhängt. Da wehrt sich auch das Herz nach aller Möglichkeit und schiebt den Sand vom Munde weg und macht sich einen sparsamen Luftraum und sehnt sich flehentlich nach der Errettung. Aber der überreiche, nie zu wenig habende Weltverstand lässt sich da sein Recht nicht mehr nehmen und versandet das Herz nur noch mehr und mehr. Da aber dann das Herz ungeduldig wird und anfängt zu verzweifeln, und der Verstand sieht, dass es ihm unmöglich wird, über dasselbe zu siegen, da lässt er es endlich sinken in den Schlamm derjenigen Begierden, welche er selbst lange vorher schon irgendwann in dasselbe geschoben hatte. Hier erfährt dann erst das Herz die vollste Unzulänglichkeit desjenigen und die barste Schändlichkeit dessen, womit es der Weltverstand bereichert hat. Das Herz fängt da an, sich zu empören gegen den also trüglichen Verstand, und ergrimmt in sich selbst. Siehe den glühenden Chaos-Pfuhl!
Da aber dieser scheidende Moment ein allerbitterster – sowohl von Seite des Herzens, wie nicht minder von Seite des Weltverstandes – ist, so gerät das Herz darüber in die größte Raserei, da es jetzt gänzlich alles Lichtes bar wird wie der Verstand ohne das Herzalles Wärme- und Zündstoffes für sein Truglicht. Siehe, hier fingst du an, gegen Mich loszuziehen im Herzen und zu fluchen im Verstande!
Ich sage dir aber, dass Ich niemals sehe auf die Werke des Verstandes, so ihn das Herz verabschiedet hat. Über das Herz aber gieße Ich dann alsbald Mein heilendes Liebelicht aus, damit da alsbald heile zum ewigen Leben das wunde, zu Mir heimkehrende Herz, wie du solches durch die innere Stimme deutlich vernommen hast.
Aber auch solches alles geht dich nichts an; denn dich mache Ich dadurch zu einem Propheten, damit du dadurch zeugen sollest fürder wider alle Welt und ihre Weisheit. Daher sei ruhig, und fürchte dich nimmer; denn Ich habe solches in dir hervorgerufen, damit du allezeit zeugen sollest aus Mir gegen alle Torheiten der Welt! Amen“ (HGt.02_076,02-25).