Himmlische und irdische Liebe
Höre du, Mein liebes Töchterlein! Die erste Bedingung alles Seins ist und bleibt ewig die Liebe, aber wohlgemerkt, die rechte Liebe nur, wie Ich, als die Ewige Liebe Selbst, sie alle Menschen gelehrt und uranfänglich jedem Menschen für sich selbst in das Herz gelegt habe. So jemand diese wahre Liebe in seinem Herzen auszubilden sucht nach Meiner Lehre, dann wandelt er den vollkommen rechten Weg zur wahren Wiedergeburt seines Geistes.
Hat jemand diese erreicht, so hat er auch das eigentliche, wahre Ziel seines Lebens erreicht. Um aber dieses allerwichtigste Ziel zu erreichen, muss man auf dem Bildungsweg seines Herzens recht sehr behutsam sein und muss sich bei jeder Neigung seines Herzens fragen, ob in solch einer Neigung nicht irgendetwas vom bösen Samen der Eigenliebe neben der rechten Liebe enthalten ist.
Rechte Liebe ist durchgehends leidenschaftslos. Sie ergreift wohl alles mit der größten Macht und Kraft, und lässt, was sie einmal ergriffen, ewig nimmer aus. Aber dessen ungeachtet ist solcher wahren Liebe Wirken durchgehends ein überaus sanftes, begleitet von der größten Duldsamkeit.
Das Wirken der Eigenliebe, obschon an und für sich höchst ohnmächtig, tritt aber nur zu bald als ein Handeln auf, das da sogleich alles zerstören möchte, was ihm ungünstig in den selbstsüchtigen Weg treten möchte. Und dieses Benehmen ist eben die Leidenschaftlichkeit, die da in der Eigenliebe zuhause ist.
Daher, wie gesagt, muss jeder bei der Bildung seines Herzens sehr behutsam sein, ob dasselbe wohl mit wahrer Liebe oder ob mitunter auch mit kleinen Portionen von Eigenliebe genährt wird. Und eben darauf musst auch du, Mein liebes Töchterlein, recht sehr bedacht sein, so du ehestens den wahren Geburtstag deines Geistes erleben willst.
Sieh, Menschenliebe ist wohl gut und recht, wenn man die Menschen liebt, weil sie Menschen sind, und nicht Unterschiede macht, außer insofern, ob jemand zufolge seines geistigen Standpunkts Mir näher oder ferner ist. Denn da ist ein Unterschied gerecht. Es kann ja niemand zwei Herren dienen, d.h. einem guten und einem schlechten zugleich. Aber irgendeine aus weltlichen Gründen entstandene Bevorzugung wegen gewisser weltlicher Würden und Werte des Menschen ist schon Eigenliebe, weil das Herz darin am Ende, wenn schon ganz heimlich, aber dennoch sicher seine eigene Erhöhung sucht. Und wo ein solches Bestreben, wenn auch noch so leise, sich kundgibt, da ist schon nicht mehr die Demut, sondern ein in solcher Liebe versteckter Hochmut die Triebfeder der sittlichen Bewegung des Herzens.
Wenn daher dein Herz etwas ergreift, so frage du allzeit, ob damit nicht dein irdisches, der sogenannten höheren Welt untergeordnetes Ehrgefühl in Anspruch genommen wird. Findet dieses bei einem Unternehmen deines Herzens seine Sättigung, so ist das schon ein Zeichen der Eigenliebe, die sich auf dem Bildungsweg deines Herzens wie ein arger Buschklepper hinter einem Dickicht gelagert hat, und mit der Weile als ein geheimer Abgesandter der Hölle alles Edle verderben will. Denn die Eigenliebe ist selbst in ihren unscheinbarsten Vorkommnissen nichts als ein böser Same, den der Feind des Lebens unter den edlen Weizen streut, damit dieser in seinem Emporkeimen verkümmert oder womöglich wohl auch ganz und gar vernichtet werde.
Daher muss man bei der Liebe der Menschen sorgfältig prüfen und das Herz in einem fort fragen, warum liebst du diesen und jenen, diese und jene, oder auch dieses und jenes?
Wird dabei das Herz aus der Demut antworten, dann ist die Liebe recht und führt dich der geistigen Vollendung zu. Antwortet das Herz aber aus einer angestammten weltlichen Eitelkeit heraus, dann ist die Liebe nicht mehr Liebe, sondern eitle Selbstsucht nur, die wohl zum Schein mit dem Lämmergewand der Liebe angetan, inwendig aber nur ein reißender Wolf ist, der am Ende alles Edle im Herzen zerreißt und den Geist, wo möglich, zu erdrücken strebt.
Ich gebe dir, du Mein liebes Töchterchen, diese kleine, aber dabei dennoch überaus wichtige Lehre und wahre Lebensregel als dein überaus guter Vater wie einen guten Zehrpfennig auf deiner irdischen Lebensreise, auf dass du mit sorglicher Benützung desselben gar leicht das eigentliche und wahre Ziel deiner irdischen Lebensreise erreichen kannst.
Hast du dieses erreicht, dann erst wirst du in aller Fülle einsehen, wie endlos gut Der ist, der dir nun dieses Wörtlein zu deinem leiblichen Geburtstag gibt, auf dass du desto eher den Geburtstag deines Geistes erreichen möchtest.
Liebe Mich über alles, wie Ich dich über alles liebe, und lass dein Herz nicht verblenden von der Welt, so wirst du einen leichten und sanften Weg zu wandeln haben!
Das sage dir Ich, dein guter Vater! Amen.
Jakob Lorber am 12. März 1848, Himmelsgaben, Bd.2, S.403.