Ein Evangelium des Weinstocks - Der Prophet Jakob Lorber

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Ein Evangelium des Weinstocks


„Im Weingarten des Andr. H., bei Maria Schnee, nächst dem Kloster der Karmeliterinnen. – J. L. spricht. – K. G. L., S., D., Andr. H. und Ans. H. schreiben.
An der Stelle, da ihr euch soeben befindet, war vor einigen hundert Jahren noch ein dichter Wald und anderes Gebüsch und Gestrüpp. Und vor zweitausend Jahren trieben noch gewaltige Fluten ihr Spiel mit den Weichen der kleinen Berge und füllten damit die Vertiefungen der Ebene.
Diese Höhe oder vielmehr diese kleine Emporragung über die Ebene, da schon seit mehreren Jahren Reben hingepflanzt sind, entstand ebenfalls, wie andere hohe Berge, nach dem Verlauf vom Zeiten zu Zeiten durch das innere Feuer der Erde. Jedoch, was gerade die Außenseite oder die Stirne betrifft, so ist diese vielmehr eine Ablagerung teils durch den Bildungsprozess eines nachbarlichen, größeren Berges, teils aber auch Anschwemmung durch die Fluten, welche da durch den entgegenstehenden Schlossberg in ihrem raschen Strömen gehindert wurden. Seht, das ist die vorläufige, notwendige Bekanntmachung mit der Bildung dieser kleinen Stelle.
Nun seht, in Meiner Ordnung ist es überhaupt so eingerichtet, dass immer eine edlere Stufe der Gewächse eine unedlere verdrängt, und zwar durch den Einfluss teils der Witterung und dann aber hauptsächlich durch die Menschen. Denn wo auf irgendeinem Ort längere Zeit hindurch unfruchtbare Bäume, Dornen und Disteln gewachsen und gestanden sind und vegetativ gelebt haben, da wird der Boden dieser Stelle eben dadurch veredelt, dass die Baum-, Gesträuche- und Dornenwelt, die da zum intelligenten Fortbestehen unnütz war, wieder stirbt und verfault und dadurch ein fruchtbares Land bildet. Dann geschieht es durch Meine Anordnung, dass an solchen fruchtbareren Stellen von Menschenhänden edlere Anpflanzungen geschehen, wodurch dann den verfallenen geistigen Intelligenzen ein neuer und auch vollkommener Weg zu ihrer Wiedererlösung geöffnet wird.
Der Weinstock ist eben eine solche edlere Art des Pflanzentums, welcher erst nach der erbarmenden Sündflut zu den Zeiten Noahs gleichsam gewaschen und von Mir umgestaltet und gesegnet wurde, und zwar aus der Ursache, da er bei seinem ersten Entstehen, herrührend aus dem Willen Meines Feindes, dem ersten Menschen, da er eben Meiner am meisten vergessen hatte und so in das Licht des Tages in seinem Vergnügen dahinwandelte – zuerst zum weckenden Stein des Anstoßes wurde und den ersten Menschen gewisserart dadurch nötigte, obschon schwer beladen mit seinen Giftbeeren, doch wieder umzukehren in sein Haus.
Nun seht, aus eben dieser erwähnten Ursache habe Ich, wie schon berührt, nach der Sündflut dem Weinstock das Gift genommen und habe ihn viermal gesegnet, während Ich das Wasser neunundneunzig Mal gesegnet habe; und eben durch diese vierfache Segnung gehört der Weinstock nun zu den edelsten Gattungen des Pflanzentums.
Bevor Ich euch jedoch etwas aus der innersten Tiefe dieses Gewächses sagen und enthüllen kann, muss Ich euch noch zuvor notwendigerweise mit seiner äußerlichen – wie ihr zu sagen pflegt – botanischen Pflanzenwesenheit bekanntmachen.
Seht, in einer jeden Beere werdet ihr einen, oft auch mehrere fast herzförmige Kerne finden. Aus solchen herzförmigen Kernen könnet ihr immerwährend auf die größere oder geringere Vollkommenheit einer Pflanze schließen. Denn so wie das Herz der Tiere, je vollkommener sie werden, eurem Herzen immer ähnlicher und ähnlicher wird – derselbe Fall ist es auch bei den Kernen aus dem Pflanzenreich. Und die vereinigten Geister von solchen edleren Gewächsen können auch eine große Anzahl von tierischen Stufen bei ihrem Neubildungsprozess überspringen, ja oft sogar sogleich in die Klasse der Menschen aufgenommen werden. Und sie haben auch noch diesen Vorteil, dass, während ihr Geistertum seinen Weg ruhig fortwandelt, ihre materielle Hülle, bestehend aus zahllosen zarten Hülschen, in deren jedem ein höherer Lebensnahrungsfunke eingeschlossen ist, höheren Lebewesen zunächst zur Nahrung des Leibes und dadurch eben auch zur Ernährung und Ausbildung der Seele dient.
Früchte wie z.B. das Getreide und andere größere Obstgattungen dienen vorzugsweise zur Nahrung des Leibes – aber die Frucht des Weinstockes dient, im reinen und mäßigen Genuss, mehr zur Belebung der Seele als der des Leibes.
Nun seht, der Kern der Traube ist also beschaffen, dass er in der Mitte der Beere wie ein Kind im Mutterleibe wächst und mit der Beere selbst heranreift. Da geschieht es denn, dass durch das Mark der Rebe, durch ein für eure Augen nicht sichtbares, mehr denn spinnengewebefeines Haarröhrchen, ein ätherischer Feuersaft emporsteigt. Wenn ihr die Rebe betrachtet, so werdet ihr sehen, dass sie sehr viele Glieder hat. Bei einem jeden solchen Glied verfeinert sich dieses Röhrchen und wird an der Stelle, wo sich die Frucht der Traube angesetzt hat, noch in viele Arme geteilt – was ihr aus dem ersehen könnt, so ihr die Kerne in einer Traube zählen würdet; denn ein jeder solcher Kern ist verbunden mit einem solchen Organ.
Allein nicht der feste Kern, den ihr seht, wird gebildet aus diesem Feuersaft, auch nicht die von diesem festen Kern eingeschlossene ölichte Frucht; sondern in dieser ölichten Frucht ist ein der äußeren Form des Kernes ähnliches, außerordentlich kleines und zartes Hülschen eingeschlossen, welches gerade so klein ist, dass es nur den zehntausendsten Teil der Größe der ölichten Frucht einnimmt. Dieses Hülschen nun wird gefüllt von dieser feurigen Gnadensubstanz.
Ist nun dieses vor sich gegangen, alsdann wird das Haar-Röhrchen, an welchem diese Hülse hängt, sogleich fest zugeschnürt. Und von diesem Röhrchen bilden sich dann mehrere kleine Arme oder Seitenkanäle und umgeben, gleichsam umwindend, dieses Hülschen mir der genannten ölichten Substanz, welche eben dadurch süß-ölicht wird, weil sie aus den edleren, vormals schon in der unedleren Pflanzenwelt gereiften geistigen Substanzen durch Meine Barmliebe gebildet wird.
Ist nun einmal dieser zweite Akt vor sich gegangen, dann wird zum zweiten Mal dieses Haar-Röhrchen wieder zusammengeschnürt und bildet fast schon gleichzeitig den festen Kern, welches auf folgende Weise geschieht: Da nämlich während der kleinen Zeitperiode der Zusammenschnürungen sich die Säfte in der ganzen Länge dieses Röhrchens verdichtet haben, so zersprengen die Säfte dann allezeit unter dem Schnürpunkte, da natürlicherweise das Röhrchen am zartesten und gebrechlichsten ist, dasselbe an vielen Stellen. Daraus fließen dann die verdichteten Feuersäfte um die ölichte Frucht und drängen sich liebewetteifernd um den Mittelpunkt ihres lebendigen Heiligtums.
Wenn nun der Kern gewisserart seine Solidität erreicht hat und die noch immer nachstrebenden Säfte nur an ihresgleichen stoßen und nicht mehr die Wärme des inneren Gnadenfünkchens verspüren, dann durchbrechen diese Säfte in einem Kreise diesen Kanal und umspinnen den Kern wie eine Raupe ihre Puppe.
Zu gleicher Zeit aber wird von äußeren, gröberen Kanälen, welche durch die Rebe aufsteigen, eine gröbere Hülse gebildet, was alles natürlich durch die einfache Intelligenz der einer solchen Pflanze innewohnenden Geister geschieht.
Wenn nun diese gröbere Hülse eine ordnungsmäßige, bestimmte Solidität erreicht hat, dann zerspringen die den Kern umgebenden edleren Gefäße und fließen dann in einem süßlichen, geistigen Saft in diese Hülse. Jedoch da diese Hülse doch ebenfalls ursprünglich von Säften gebildet wird, welche in ihrer Natur herb sein müssen, damit die Frucht oder vielmehr die Hülse eine Festigkeit erhält – so kommen nun innerhalb dieser Hülse anfänglich zwei Gattungen Säfte zusammen, nämlich ein herber und ein süßer, woher es denn auch kommt, dass eine unreife Beere sehr zusammenziehend sauer schmeckt.
Mit der Zeit jedoch wird das Herbere und Schlechtere von dem inwendigen Süßen und Guten überwunden und an die äußere Grenze als feste Hüllenmasse gedrängt. Und so wird dann, euch zu einem guten Beispiel, durch das von innen aufsteigende Gute das Leben fürs erste in einer ungebundenen Freiheit erhalten, welches hier der Kern zeigt, da alle ihn umgebenden Säfte immer milder und lockerer und somit auch reifer und geistiger werden; und fürs zweite wird das überwundene Herbe und gleichsam Schlechte ebenfalls gut, da es zum allgemeinen Gefäße eines solchen Pflanzenheiligtums wird.
Und nun seht ferner, wenn ihr den Weinstock wohl betrachtet, so werdet ihr an ihm ebenfalls Blätter, Zweige und statt der Zweiglein euch wohlbekannte Fadenarme entdecken. Ihr werdet in diesem Gewächse überhaupt, wenn ihr es recht sorglich betrachtet, schon mehr tierisches Leben finden als in irgendeiner andern Pflanze.
Diese Arme entstehen zwar auf dieselbe Art wie die Traube selbst, aber die Geister hatten noch zu wenig Liebe-Gutes in sich, daher auch zu wenig Leben, um eine Frucht zu bilden. Wenn sie nun ihre volle Größe erreicht haben und nun gewahr werden, dass in ihnen kein Leben zur Bildung einer Frucht besteht, und das zwar einer gewissen Unsorglichkeit wegen – dann meinen sie in ihrer einfachen Intelligenz, das Lebensfünkchen sei ihnen gewisserart davongelaufen. Da dehnen sie sich so weit als nur immer möglich aus, und wie sie dann auf einen fühlbaren Gegenstand kommen, so meinen sie in ihrer Blindheit, sie hätten das Leben gefunden, umsticken es dann auf ähnliche Weise, wie die feineren Gefäße den Kern, und lassen es nicht mehr aus. Allein die Folge zeigt, dass sie bei solchem Weitausgreifen statt des Lebens nur den Tod mit ihren Armen umschlungen haben – und sterben am Tod selbst.
Das sei auch euch ein kleiner Wink! Denn so jemand, sein Inneres außer acht lassend, nur glaubt, die Lebensfülle in dem weit ausgedehnten Schöpfungsraum zu suchen, der hat ebenfalls seine Arme und Augen weit nach dem Tode ausgesteckt – während Ich doch jeden durch die tägliche Erfahrung handgreiflich lehre, dass die Welt immer schöner, herrlicher und verklärter wird, je weiter ihr euch von derselben entfernt befindet. Darüber sollte euch schon die Fernsicht einer Gegend einen nicht unbedeutenden Wink geben. Denn ein weitliegendes Gebirge seht ihr oft mit frommem, begeistertem Vergnügen an. Wie ist es dann aber, so ihr an dieses Gebirge selbst gekommen seid, dass ihr an diesem Berg der Gebirge nichts Schönes und auch kein andere Vergnügen mehr findet, als das der Fernsicht wieder anderer Gegenden?
Seht, darin liegt es auch, dass je mehr ihr euch von der Welt abzieht und euch gleichsam von derselben entfernet, sie euch desto schöner, verklärter und duchsichtiger erscheint; erst da hat der, der Meine Werke betrachtet und achtet, eine reine Lust daran.
Denn seht, das Leben wohnt im Inwendigen – und der Tod im Auswendigen! Wer nach dem Leben strebt und lebendig wird, für den wird alles verklärt und lebendig. Denn wer das Leben hat, der haucht alle Dinge mit dem Leben an, und so werden sie dann lebendig vor ihm und durch ihn. Dem Lebendigen muss der Tod seine Gefangenen ausliefern.
Wer aber nach außen strebt, sei es nach was immer, der strebt nach dem Tod und ergreift auch bald das Nächste-Beste, was ihm unterkommt, der eine dies, der andere jenes, das an und für sich nichts als Tod ist. Ein solcher zerstreut sein Leben, wird schwächer und schwächer und stirbt endlich ganz. Und somit ist für ihn auch alles tot und soviel wie gar nicht daseiend. Woher es denn auch geschieht, dass so viele Menschen sogar Mich, als das allerlebendigste Leben alles Lebens, als gar nicht mehr daseiend aus ihren Augen und Herzen verlieren!
Seht, Ich hatte euch schon einmal von dem Evangelium der Pflanzen eine kleine Erwähnung gemacht; da habt ihr demnach hier ein kleines Evangelium des Weinstocks! Und so wollen wir nun noch eine kleine fortschreitende Betrachtung des Weinstocks vernehmen.
Eine dritte Extremität des Weinstocks ist das Blatt. Dieses wird gebildet aus einem dreifachen Saft. Es gehen nämlich von dem Mark der Rebe Kanäle aus, und zwar gerade an der Stelle, da die Rebe allezeit ein Glied bildet. Und das geschieht nun auf folgende Weise:
Nämlich, wie Ich euch schon beim Wachstume des Baumes berührt habe, geschieht auch hier schon ein viel lebhafteres Nachstreben nach Meinem Gnadenfünkchen, welches in dem Samenkorn eingeschlossen ist. Und wenn nun die arglistigen (Natur-)Geister dieses Fünkchens Aufsteigen in dem feinen Zentralgefäß verspüren, dann rennen sie haufenweise schnell in diesem kleinen Stamme dem Fünkchen nach. Allein wenn das Fünkchen zu einer gewissen Höhe emporgestiegen ist, dann umschlingt es, was ihr nicht glauben könnt, mit Blitzesschnelle die Seitengefäße der absurden Geister. Diese rennen aber demungeachtet dem Fünkchen nach und wissen bei der tausendkrümmigen Bewegung des Hauptorgans nicht, wohin das Fünkchen seine Richtung genommen hat. Daher suchen sie es auf dieser Stelle wo die Rebe ein Glied bildet und schießen dann hier in feinerer Potenz vom Stamm weg und bilden auf diesem Wege den Stiel eines Blattes.
Wenn sie nun da eine Zeitlang in diesem Stiel fortgestrebt sind und das Lebensfünkchen demungeachtet nicht gefunden haben, dann beraten sie sich in ihrer einfachen Intelligenz und wollen nun nach allen Richtungen sich wenden, um den Gegenstand ihrer mörderischen Liebe zu finden. Daher spannen sie sich nach allen Richtungen netzförmig aus und lassen nach unten eine Menge Ausläufe, was gleichsam die Haare am untern Teil des Blattes bildet. Und die Netz- und Zwischenräume füllen sie dann durch ihr Suchen ebenfalls noch mit ihrer Substanz aus.
Nichts als nur ihre eigene schlechte Hoffnung zwingt sie, nach solchen Teilen in Massen und Massen hinauszurennen. Und wenn nun das Lebensfünkchen gewahr wird, dass da eine hinreichende Masse hinausgeströmt ist, so schnürt es ihre Kanäle bis auf einen mittleren in eben der Schnelligkeit zusammen, von welcher schon früher Erwähnung geschehen ist. Das Lebensfünkchen selbst aber bricht oft gerade in der Mitte solcher nachstrebender Horden aus, wo dann der schon bekannte Prozess vor sich geht.
Auf gleiche Weise geschieht dann eine solche Handlung, so oft ihr ein Glied an einer solchen Rebe bemerkt.
Diese Blätter aber lässt das Lebensfünkchen aus der Ursache entstehen, damit es erstens seine Fortbildung unter einem sanften Schatten vornehmen kann, und fürs zweite saugt es dann selbst für die Ausbildung des ihren Kern umgebenden Saftes aus dem Lichtmeer, welches da in Fülle entströmt aus Meiner Gnadensonne, den ätherischen Stoff in sich, in welchem eigentlich der vierfache Segen besteht.
Dieser vierfache Segen wird dann, wenn die Traube ausgepresst worden ist, das Geistige im Wein. Jedoch nicht eher, als bis der Saft alles Unreine aus sich geworfen hat, tritt das Geistige in dem Saft hervor.
Seht, auch hierin liegt ebenfalls wieder ein kleines Evangelium – wie die innere Kraft des Lebens erst dann wirksam und fühlbar in die gereinigte Materie übergeht, wenn diese selbsttätig, freilich auch nur durch Meine gar starke Mithilfe, die Schmarotzer des Todes hinausgeschafft hat. Dann wird die Materie selbst verklärt und rein, wie der Saft der Traube im Fass oder Schlauch.
Durch eine ähnliche Zurückgezogenheit von der Welt in das schützende und haltbare Gefäß der Demut wird auch euer materielles Wesen durch die Wirkung des hervortretenden Geistes gereinigt. In dieser Demut geschieht dann eine ähnliche Gärung, wodurch alles Unreine und Tote der Welt wieder zurückgegeben wird. Das Leben aber, vereint mit seiner geheiligten Materie, bleibt, wie ein guter Wein, im Gefäß der Demut ewig in aller Kraft beisammen.
Nun seht, das ist von dem Weinstock, soviel ihr ertragen könnt, euch gegeben! Aber es liegt noch, wie überall, Unendliches verborgen, welches ihr für jetzt nicht würdet ertragen können. Jedoch zu seiner Zeit werdet ihr noch mehreres davon vernehmen, teils durch Meinen Knecht, teils aber, so ihr auf euer Inneres aufmerksam sein wollt, auch in euch selbst. – Amen.“


Himmelsgaben Band 1 am 09.08.1840


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