Die sieben Worte Jesu am Kreuz
1. Wort: „Herr, vergib ihnen, denn sie wissen nicht was sie tun!“ (Lk 23,34)
Von den Pharisäern, vom Hohenpriester Kaiphas angefangen bis zu den Schergen, die Meinen Leib ans Kreuz geheftet haben, wusste wahrlich keiner, mit wem sie es so ganz eigentlich an Mir zu tun hatten. Denn die Pharisäer hielten Mich trotz aller Meiner Taten und Lehren erstens für einen Hauptmagier aus der Schule der Essäer, die bei ihnen über die Maßen verhasst waren, und fürs zweite hielten sie Mich für einen Judenaufwiegler, als der Ich den Römern eine Gelegenheit bereite, damit sie den Juden alle Freiheit und am Ende sogar ihren Religionskultus verböten. Je größere Zeichen Ich demnach wirkte, desto mehr wuchsen Meine euch wohlbekannten Feinde.
Was aber die Schergen betrifft, so waren die meisten Soldaten der Römer als Söldlinge von allen Nationen des Römischen Reiches zusammengerafft und waren den Römern um so lieber und wünschenswerter, je grausamer und herzloser sie sich in den Schlachten und auch bei kleinen Exekutionen zeigten; denn ein gefühlvoller römischer Soldat wäre ein wahres Unding für den kriegerischen Sinn der Römer gewesen. Aus dem geht aber auch sicher hervor, dass die gemeinen römischen Söldlinge noch weniger wussten, was sie taten, als Meine euch schon bekannten Erzfeinde selbst. (HiG.03_64.03.19,06-07)
2. Wort: „Mich dürstet!“ (Joh 19,28)
„Mich dürstet!“ Wonach? Nach der Liebe, die die Welt nicht hat, – darum sie Mir auch nur Essig und Galle zur Stillung Meines Durstes statt des belebenden Wassers reichte und noch bis jetzt fortan immer reicht.
„Mich dürstet!“ Wonach? Nach dem Leben, das Ich Selbst ursprünglich von Ewigkeit Selbst bin, und das Ich in so reichlicher Fülle von Urbeginn an ewig zahllose Wesen verschwendet habe!
Also nach diesem Leben dürstet Mich! Endlos vielfach ist dieses Leben in den Tod übergegangen. Ich kam, um es dem Tode zu entreißen. Darum dürstete Mich gar sehr im Augenblick der großen Erlösung nach diesem verschwendeten Leben; aber der Tod hatte so sehr überhandgenommen, dass ihn das ewig lebendige Blut der Liebe nicht zu erwecken vermochte!
Als Ich verlangte zu trinken das Leben, da gab man Mir aber dennoch nicht das Leben, sondern man gab Mir zu trinken den Tod! Essig und Galle war der Trank; Essig als das Symbol des Zusammenziehenden und Verhärtenden und die Galle als das Symbol des Hasses, Zornes und Grimmes.
Dieses Bild ist klar und deutlich dargestellt, und wir wollen sehen, wie es fürderhin für unsere Sache taugt. Sehet, also rufe Ich zu aller Welt, wie zu euch, fortwährend: „Mich dürstet!“, oder was ein und dasselbe ist: „Liebet Mich, gebet Mir zu trinken eure Liebe! Liebet Gott über alles und euren Nächsten wie euch selbst! Das ist das Wasser des Lebens, danach Mich in euch dürstet.“
Frage: Reichet ihr Mir wohl dieses Wasser? Oder reichet ihr Mir nicht vielmehr auch Essig und Galle?
Das wenige, das Ich von euch verlange, ist nichts als die Liebe und die Tat danach. Wenn ihr aber anstatt der wahren, lebendigen Liebetat nur leset und dabei nichts tut, außer was eurem Weltsinne so oder so zusagt, – Frage: Ist das nicht Essig mit Galle, das ihr Mir an Stelle des lebendigen Wassers reicht? Ja, Ich sage euch: Je mehr ihr zusammenleset und dabei aber nichts tut, als was euch nach eurem Sinne weltlich erfreut, desto saurer wird der Essig und desto bitterer die Galle. (Ste.01_005,04-11)
3. Wort: „Mein Gott! Mein Gott! Warum hast Du Mich verlassen!“ (Mt 27,46 + Mk 15,34)
Aber sehet, eben da, wo die Liebe und das Leben in der unendlichen Entfernung von Gott schwach geworden ist, da erbarmte sich Gott Seiner Liebe selbst, stärkte Sie und gebot Ihr, den vorgesetzten Kelch zu leeren, und sprach insgeheim zu Ihr: „Noch sind zwischen Mir und Dir die Extreme der Unendlichkeit nicht berührt; daher senke Dich hinab in die äußerste Tiefe des Todes, welcher ist die äußerste Grenze im Gegensatze zu Meiner Heiligkeit, damit Ich Dich da wieder erfassen kann, da der ewige Kreis Meiner Heiligkeit sich schließt.“ – Sehet, so ging Ich dann geduldig diesem Ziele entgegen, allwo Ich in dieser unendlichen Entfernung von Gott am Kreuze ausrief: „Mein Gott, Mein Gott, warum hast Du Mich verlassen?“ (HiG.03_40.12.06,15)
4. Wort (zu Johannes): „Maria, siehe dein Sohn! Siehe, deine Mutter!“ (Joh 19,26+27)
„Jesus nun, der Seine Mutter sah und den Jünger dastehen, den Er liebhatte, spricht zu Seiner Mutter: ‚Weib, siehe, dein Sohn!‘ Danach spricht Er zu dem Jünger: ‚Siehe, deine Mutter!‘ Und von der Stunde an nahm sie der Jünger zu sich.“
Es ist bei euch auf der Welt ja auch üblich, so jemand seines Leibes Tod vor Augen sieht, dass er mit seinem Nachlasse irgendeine letzte Willensanordnung trifft, die bei euch unter dem Namen ‚Testament‘ vorkommt. Also war es ja auch bei Mir notwendig der Fall, dass Ich mit Meinem Nachlasse eine letzte Willensanordnung treffen musste. Maria, Meines Leibes Gebärerin, war ein solcher Nachlass, und sie musste doch für ihre noch übrigen Lebenstage auf der Erde eine nötigste Versorgung haben. Es dürfte freilich hier und da jemand fragen: „Hatte denn der Joseph gar nichts hinterlassen? Er selbst hatte ja Kinder, eigene und auch fremde, die er auferzogen hatte; konnten diese denn nicht auch sorgen für die Maria?“ Darauf kann erwidert werden: Joseph hatte fürs erste nie ein völliges Eigentum besessen und konnte somit auch keines hinterlassen. Seine Kinder, sowohl die eigenen als auch die aufgenommenen, befanden sich fürs zweite selbst in der größten Armut und sind Mir zumeist nachgefolgt; und darunter war eben auch Johannes selbst, der sich viel im Hause des Joseph aufhielt und gleichsam ebenfalls ein Züchtling dieses Hauses war. Denn sein Vater war noch dürftiger als Joseph selbst und gab daher seinen Sohn dahin, dass er erlernen möchte die Kunst Josephs. Er erlernte sie auch und war ein recht geschickter Zimmermann und Schreiner zugleich und wusste auch mit dem Drechseln umzugehen. Zudem hatte er die Maria, so wie Mich, und das ganze Haus Josephs ungemein lieb, und Maria konnte keinen besseren und getreueren Händen anvertraut werden als eben diesem Sohne des Zebedäus. Seht, das ist nun das ganz natürliche Testament, und das ist demnach auch der ganz naturgerechte Buchstabensinn dieser Meiner Worte vom Kreuze.
Da aber diese Worte nicht nur allein der Mensch Jesus, sondern der Sohn Gottes oder die ewige Weisheit des Vaters geredet hat, so liegt hinter ihnen freilich noch ein ganz tiefer und allerhöchst göttlich-geistig-himmlischer Sinn, den ihr aber freilich je ebensowenig in seiner Volltiefe werdet zu erfassen imstande sein wie so manchen anderen Tatengrund des Gottmenschen. Ich kann euch daher nur Andeutungen aus dem Gebiete der Weisheit darüber geben. Forschet aber dann nicht zu viel darinnen; denn ihr wisset, dass sich Dinge der Weisheit nie so begreifen lassen wie Dinge, die aus der reinen Liebe hervorgehen, wie euch solches schon die Natur zeigt. Ihr könnt allda wohl die leuchtenden Dinge wie die glänzenden erfassen, sie hin und her legen und betrachten von allen Seiten; könnt ihr aber wohl auch solches tun mit den freien Lichtstrahlen, die den leuchtenden Körpern entströmen? Diese Strahlen führen die Abbilder von zahllosen Dingen unverfälscht mit sich, wovon euch die neuentdeckten Lichtbilder einen hinreichenden Beweis geben. Fraget euch aber selbst, ob ihr trotz allen Mühens mit euren Sinnen in den freien Strahlen solche Bilder entdecken möget. Sicher werdet ihr diese Frage verneinend beantworten müssen. Daher gilt auch der frühere Wink, dass ihr über gegebene Dinge aus der Weisheit nicht zu viel Spekulationen machen sollt; denn ihr werdet da noch weniger ausrichten als bei der allfälligen Beschauung der Gebilde in den freien Lichtstrahlen.
Ihr könnt zwar optische Vorrichtungen machen, durch die der freie Strahl genötigt wird, sein getragenes Bild eurer Beschauung auszuliefern; habt ihr aber auch eine optische Vorrichtung, durch welche die Bilder der Strahlen aus dem Urlichte in ihrer Tiefe abgeprägt werden können? Ja, ihr habt wohl eine solche geistig-optische Vorrichtung in euch, aber diese fängt erst dann an wirksam zu werden, wenn ihr des Weltlichtes völlig ledig werdet. Die Welt muss eher in die volle Finsternis übergehen, bevor das Licht des Geistes seine getragenen Bilder in eurem Geiste wohlbeschaulich abgibt. Eure eigenen Träume geben euch davon einen gültigen Beweis, und die Gesichte der Verzückten oder, nach eurem Ausdruck, der Somnambulen liefern einen noch haltbareren und klareren Beweis.
Diese Vorerinnerung war notwendig, und so können wir zu den betreffenden Andeutungen über diese Worte am Kreuz übergehen. „Weib, siehe deinen Sohn!“ und: „Sohn, siehe deine Mutter!“ heißt tiefer soviel als: „Du Welt, siehe des Menschen Sohn, und du Menschensohn, siehe an die Welt, und richte sie nicht, sondern erweise ihr Liebe!“Tiefer gesprochen: „Du göttliche Weisheit, neige dich hin zu deinem ewigen Urgrunde, und du, ewiger Urgrund, siehe an und nimm auf zur Einswerdung deinen ausstrahlenden Sohn!“Weiter: „Du Eine, die du einst das Allerheiligste trugst, siehe an den Tod deines Werkes, und Du Getöteter, so Du auferstehen wirst, gedenke der, die einst das Allerheiligste, das Licht der ewigen Liebe nämlich, trug!“
Sehet, in diesen kurzen Andeutungen liegt die unendliche Tiefe, die kein geschaffenes Wesen je völlig erfassen wird, weil der Inhalt dieser Tiefe an und für sich schon unendlich ist und sich dazu noch in einem jeden Augenblick verunendlichfältigt. So viel aber sagte Ich euch darüber darum, auf dass ihr daraus ersehen sollet, dass Derjenige, der solches vom Kreuze herab geredet hat, mehr war als nach der Meinung vieler ein bloß einfacher israelitischer Delinquent unter dem Scharfgerichte Roms, weil Er als ein Volksaufwiegler und Rebell gegen Rom angeklagt ward. Das ist demnach der tiefere geistige Sinn. Ihr aber bleibet für euch bei dem natürlichen Testament! Denn auch ihr seid Meine Jünger, und die Armen der Welt sind Meine Mutter. Und so sage Ich auch zu dieser Mutter: „Siehe, deine Söhne!“ Und zu euch sage Ich: „Sehet, eure Mutter!“ Wahrlich, wenn ihr da tun werdet gleich dem Johannes, so sollt ihr auch seinen Lohn haben ewig! Amen. (Ste.01_032,01-20)
5. Wort (zu dem Gekreuzigten an Seiner Seite): „Heute noch wirst du mit Mir im Paradiese sein!“ (Lk 23,43)
Ich sage euch, fürwahr, ein reumütiger Blick zum guten Vater genügt, um der Hölle für alle Ewigkeit zu entrinnen! – Seht an den Missetäter am Kreuz, er war ein Räuber und Mörder; aber da blickte er zum Herrn empor und sprach mit großer, schmerzlicher Zerknirschung seines Herzens: „O Herr! Wenn Du in Dein Reich kommst und wider uns große Missetäter zu Gericht ziehen wirst, da gedenke meiner und strafe mich nicht zu hart für meine großen Missetaten, die ich verübt habe!“ Und seht, der große, allmächtige Richter sprach zu ihm: „Wahrlich, heute noch sollst du bei Mir im Paradies sein!“
Aus diesem wahrhaftigen Begebnis kann doch hoffentlich ein jeder nur einigermaßen gläubige Christ entnehmen, wie überaus wenig es im Grunde bedarf, um die ganze allerunterste, mächtigste Hölle auf ewig zu unterjochen. (GS.02_117,14-16)
6. Wort: „Vater, in Deine Hände empfehle Ich Meinen Geist!“ (Lk 23,46)
Dieses Leiden dauerte bis auf den Punkt, da Ich am Kreuz ausrief: „Es ist vollbracht! Vater, in Deine Hände empfehle Ich Meinen Geist!“ – oder mit andern Worten: „Siehe Vater! Deine Liebe kommt zu Dir zurück!“ – Und sobald wurden von der unendlichen Macht Gottes alle Bande des Todes und der Hölle zerrissen. Hinaus stürmte die ewige Macht mit verunendlichfältigter Gewalt. Die ganze Erde bebte, angerührt von der Allgewalt Gottes. Freiwillig öffnete sie ihre Gräber und trieb die Gefangenen zum Leben hervor. Und weiter drang dieselbe Allgewalt über alle sichtbare Schöpfung hinaus, erfüllte in diesem Augenblick die Unendlichkeit wieder. Und alle Sonnen in allen endlosen Räumen zogen ihr Licht aus übergroßer Ehrfurcht vor der sie neu berührenden Allgewalt Gottes in sich zurück. Dass aber die Gottheit bei diesem neuen Austritt in diesem Augenblick nicht alles zerstört und vernichtet hat, war allein die Liebe schuld, die da nun völlig wieder mit ihr vereinigt war. (HiG.01_41.04.09,13-14)
7. Wort: „Es ist vollbracht!“ (Joh 19,30)
Es heißt dann freilich: „Es ist vollbracht!“ Aber was? – Mein eigener Kampf um euch; denn mehr kann Ich nicht tun, als euer Schöpfer, Gott und Herr und das ewige Leben Selbst euren Tod auf Mich nehmen! Dass aber Ich nicht getötet werden kann in Meinem ewigen Geiste, das braucht keiner weiteren Erklärung. Nur den Kampf für euer Leben kann Ich bis zur endlos höchsten Stufe treiben. Aber da ihr selbst endlich seid, so muss auch dieser Kampf irgend ein möglich höchstes Ziel haben. Ist dieses Ziel erreicht, dann ist der Kampf vollbracht, von Mir aus betrachtet, – aber nichtsdestoweniger etwa auch bei euch, die ihr Mir, dem vollbringenden Kämpfer um euer Leben, aus lauter Dankbarkeit statt des lebendigen Liebewassers nur Essig mit Galle reichet.
Es ist freilich vollbracht; aber nicht für euch, sondern leider nur für Mich Selbst, oder: Ich habe für euch alles getan, was nur immer in der göttlichen Möglichkeit steht; darum habe Ich Mein Werk um euch vollbracht. Aber tut auch ihr danach, dass dieses Werk in euch vollbracht wäre? O ja, – ihr leset fleißig, ihr schreibet auch fleißig, ihr besprechet euch auch gern von Mir; aber wenn Ich sage: „Widmet Mir an Stelle eurer gewissen Weltgedanken und an Stelle eurer so manchen Welterheiterungen nur eine volle Stunde am Tage; heiliget sie dazu, dass ihr euch in derselben mit nichts als nur mit Mir in eurem Herzen abgebet!“, – oh, da werdet ihr hundert Anstände für einen finden, und hundert weltliche Gedanken werden sich um einen einzigen schwachen geistigen wie ein Wirbelwind drehen! Allerlei weltliche Rücksichten werdet ihr da zum Vorschein bringen; und wenn sich auch jemand für eine solche Stunde entschließen möchte, so wird er sich sicher nicht zu sehr freuen auf diese, sondern wird vielmehr eine kleine unbehagliche Scheu vor derselben haben und wird dabei fleißig die Minuten auf dem Zifferblatt seiner Uhr zählen und nicht selten mit Ungeduld auf das Ende des Mir geweihten Stündleins harren. Und käme da nur irgendein unbedeutendes Weltgeschäftlein dazwischen, so wird das Stündlein entweder gar kassiert oder wenigstens in eine solche Periode des Tages versetzt, in welcher sich gewöhnlich schon der wohltätige Schlaf über die Sterblichen senkt, und in welcher, besonders beim weiblichen Geschlecht, keine angenehmen Besuche mehr zu erwarten und keine nervenstärkenden Promenaden mehr zu unternehmen sind. Sehet, das alles ist Essig und Galle! Und es ist in euch dadurch nicht vollbracht, wenn Ich zufolge Meiner unendlichen Liebe alles Erdenkliche tue, um euch auf den rechten Weg des Lebens zu bringen; denn zur Vollbringung in euch ist nötig, dass ein jeder sich selbst verleugne aus wahrer Liebe zu Mir, sein Kreuz auf sich nehme und Mir treulich nachfolge.
Wer aber tut das? Das weibliche Geschlecht kann wohl, wenn es gut geht, den ganzen Tag für den Leib stechen und heften und kann sich putzen und nicht selten über die Maßen freuen auf irgendeinen Besuch; aber wenn Ich dazu sagen möchte: „Bleibet daheim in eurem Kämmerlein, und gedenket in eurem Herzen Mein!“, da werden sie traurig, lassen ihre Gesichter hübsch weit herabhängen und sagen: „Aber auf der Welt haben wir doch nichts Gutes!“ Frage: Ist das nicht Essig und Galle, wie sich's gehört? Oder halten solche weiblichen Menschen in ihrem Herzen nicht eine noch so nichtssagende Welterheiterung höher denn Mich? Haben solche Menschen auch in sich vollbracht, wie Ich am Kreuze für sie den großen Kampf vollbracht habe? Gebet ihnen angenehme Bücherchen mit allerlei Histörchen, die Meinetwegen auf Mich Bezug haben sollen; sie werden sie recht gern lesen, besonders wenn darin dann und wann von einer romantischen Heirat die Rede ist oder darin wunderbare Märchen vorkommen. Gebt ihnen aber nur ein etwas ernster abgefasstes Büchlein; das werden sie gerade mit einem solchen Appetit lesen, als mit welchem da frisst ein an gute Speisen gewöhnter Hund eine ihm dargereichte dürre Brotkrume, die er höchstens anschnüffelt, sie aber dann bald mit gesenktem Schweif und hängenden Ohren verlässt. Da aber das Tun doch immer noch etwas Ernsteres ist als das alleinige Lesen selbst des ernstesten Buches, so erklärt sich die Sache von selbst, mit welcher Schwierigkeit da das Tun wird zu kämpfen haben.
Es gibt viele, die eine gute Musik gern von Künstlern hören; aber wie wenige darunter wollen sich dahin selbstverleugnen, um durch ein angestrengtes Studium selbst Künstler zu werden. Es ist leicht das Hören und nicht schwer das Lesen und ebenso leicht das Zuschauen; aber das Selbsttun ist für jedermann von keinem großen Reiz. Was nützt aber jemandem das Wissen und Nicht-Tun-danach? Sehet, das alles ist Essig mit Galle und bringt das Vollbringen nicht zuwege! In Mir wohl, indem Ich jedermann alles Erdenkliche dazu gebe, – aber nicht in dem Menschen, der das nicht also und dazu benutzen will, wie und warum Ich es ihm gebe. Daher seid nicht eitle Hörer, sondern Täter des Wortes! Denn nur als Täter löschet ihr Meinen Durst mit dem lebendigen Liebewasser, sonst aber reichet ihr Mir allzeit Essig und Galle. (Ste.01_005,12-26).