VERKEHR MIT DER GEISTERWELT
Medialität
Das Hellsehen bzw. Schauvermögen des Menschen
„Es ist das sogenannte zweite Gesicht nicht etwa ein Zeichen von einem geweckteren Geist, sondern es hat seinen Grund bloß nur in einem etwas er-höhterem Seelenleben und ist überhaupt ein Eigentum jener Menschen, die stets in großer Not und natürlicher Abgezogenheit von der Welt zu leben genötigt sind.
Dass dieses zweite Gesicht mit der geistigen Gewecktheit keine Verwandtschaft hat, kann euch auch der Umstand hinreichend bezeugen, dass eines solchen zweiten Gesichts auch sogar die Tiere fähig sind, deren Individualität durchgehends nichts Geistiges, wohl aber eine Seele zur ferneren Ausbildung in sich trägt.
Ihr werdet nun freilich fragen, welche Wirklichkeit dasjenige hat, was sich im zweiten Gesicht beschaulich darstellt? Allein es wird gar nicht schwer sein, diesen Knoten für euch zu lösen. Wenn ihr noch im tiefen Winter begraben seid und euch von allen Seiten die starren Schnee- und Eisfelder schaurig anblicken, ja wenn ihr noch dazu in kalten Gemächern zu wohnen genötigt wärt, sagt, werdet ihr euch da nicht nach dem Frühling und nach dem Sommer ganz gewaltig zu sehnen anfangen? Und wird sich nicht die Phantasie eurer Seele vorzugsweise damit beschäftigen, euch bildlich den Frühling und den Sommer vorzuführen?
Seht, dieses sehnsüchtige, gleichsam plastische Vorgefühl ist die erste Stufe des zweiten Gesichts und hat seinen Grund in dem leisen ätherischen Überwehen dessen, was die Seele in ihrem gedrückten Zustand als wohltuend erwartet. Wenn nun jemand sich mehr und mehr vertiefen würde, so möchte er wenigstens zur Nachtzeit nicht selten die Bilder des Frühlings und des Sommers gleich matten Traumbildern vor sich vorüberziehen sehen.
Wenn aber irgendeine Seele noch mehr beengt wird durch leidende Verhältnisse, so geschieht mit ihr durch solchen Druck das gleiche, wie wenn die Luft in einem zu hohen Grad gedrückt wird, sie entzündet sich und tritt aus der leiblichen Sphäre hinaus. Es gibt nämlich in dem sichtbaren Raum ebenso gut seelische Wirkungen und Bewegungen, wie es in dem weiten Lichtraum Wirkungen und Bewegungen des Lichts gibt nur mit dem Unterschied, dass die Schwingung des Lichts sich auf dem natürlichen Weg nicht anders als geradlinig fortpflanzen können; wogegen die seelischen mehr ähnlich sind den Schwingungen des Schalls und sich nach allen erdenklichen Richtungen, wie auch in allen erdenklichen Krümmungen mit mehr denn elektrischer Schnelligkeit fortpflanzen können.
Jetzt denkt euch irgendein Faktum welcher Art es auch immer sein mag, so hat es immerwährend drei Bedingungen zum Grund, eine materielle, eine seelische und eine geistige.
Was die erste Bedingung betrifft, so kann das Faktum von den leiblichen Augen erst dann erschaut werden, wenn es gerade eben geschieht, und zwar in einer solchen Entfernung, die von der leiblichen Sehkraft erreicht werden kann.
Was die seelische Bedingung anlangt, so werdet ihr es ohne viel Nachdenken leicht einsehen, dass ein Faktum zuerst in der Seele vorangehen muss, bevor es in die Körperwelt übergeht. Ist aber nun die Seele ihrer Decke enthoben, so kann sie ein solches Faktum vermöge der schnellen seelischen Fortpflanzung oft schon eine bedeutende Zeit früher ersehen als es zur materiellen Objektivität gelangt, oder sie kann auch ein verübtes Faktum nachträglich erschauen, gleichwie ihr einen fernen Nachhall vernehmt.
Zum Überfluss will Ich auch noch drei kleine Beispiele von dem seelischen Schauen hinzufügen.
Es sieht z.B. ein solcher mit dem zweiten Gesicht Begabter eine unbekannte Leiche vorüberziehen, während der Bekannte noch ganz frisch und gesund ist und erst in einigen Monaten darauf stirbt. Dies geht auf folgende, leicht fassliche Weise vor sich, nämlich die Seele des zum Sterben Bestimmten ahnt die nahe Auflösung ihrer Hülle, besonders zu einer Zeit, wenn sie ebenfalls durch ein merkliches Heraustreten ihr zum Zusammenfallen reifes Haus klarer und richtiger beschaut. In diesem Zustand ordnet sie dann schon alle betreffenden Vorkehrungen und Zeremonien zum Übergang. Zu gleicher Zeit ist aber auch die Seele eines anderen Menschen in solchem erhöhtem Zustand und sieht da das ganze Faktum, was sich die Seele des anderen schon vorgeordnet hat, und zwar das alles auf die euch nun schon bekannte seelische Mitteilungsweise. Nun seht, auf diese Weise werden von der Seele dergleichen Dinge vorgesehen, wie von dem körperlichen Auge diejenigen, die soeben geschehen.
Als zweites Beispiel: Eine Seele sieht in irgendeiner weiten Entfernung etwas geschehen. Auch dieses Schauen geschieht auf dieselbe Weise. Denn wo immer etwas geschieht, da Menschen zugegen sind, entweder bloß als Zuschauer oder als glücklich oder unglücklich Mitbeteiligte, da ist ja auch nichts natürlicher, als dass ein solches Faktum in das Seelenleben der anderen sogleich aufge-nommen wird und sich dann in der seelischen Sphäre gleich einem allerzartesten magnetischen Fluidum , je nach der Größe und Art des Faktums, oft mehrere tausend Stunden fortpflanzt. Und wenn sich dann irgendein Mensch in einem erhöhten Seelenzustand befindet, so nimmt er solche Schwingungen sogleich wahr und bekommt das Bild durch die Varietät der Schwingungen auf dieselbe Art zu Gesicht, wie irgendein materielles Bild durch die Varietät der Schwingungen des Lichts von dem Gegenstand, von dem sie ausgehen, zur körperlichen Anschauung durch das fleischige Auge gelangt.
Als ein drittes Beispiel ist dieses anzunehmen, wenn irgendein Faktum, bei welchem mehrere Menschen verunglücken werden, noch nicht erfolgt ist. Dieses Gesicht ist zwar etwas seltener, kommt aber dessen ungeachtet gleich den übrigen Fällen vor. Es ist auf folgende Weise einzusehen: Wenn irgendeine Seele bei besonderen Fällen in einen erhöhten Zustand gelangt, so wird auch der innewohnende Geist, freilich nur auf kurze Zeit, geweckt. In der geistigen Bedingung aber liegen alle Fakta , sowohl die vergangenen als die zukünftigen, unvergänglich zugrunde. Nun kann da das Schauen auf eine zweifache Art geschehen, nämlich der Betreffende erschaut es zuerst aus seinem Geist. Dieses Erschaute geht natürlich in die Seele über. Sobald es aber in die Seele übergegangen ist, so pflanzt es sich auch schon nach den euch bekannten Gesetzen weiter. Und so dann irgendein Mensch im erhöhten Seelenzustand sich befindet, so erschaut auch er ein solches gewisserart prognostisches Faktum nebst allen den Umständen, die sich da zutragen werden. Und dieses Erschauen ist dann die zweite Art, ein solches Faktum, welches erst künftig geschehen wird, zu erschauen. Dass ein solcher Mensch im erhöhten Seelenzustand auch Seelen verstorbener Menschen sehen kann, wenn diese sich sehen lassen wollen oder dürfen, braucht nicht näher erwähnt zu werden.
Nun seht, da habt ihr das ganze Wesen des zweiten Gesichts und könnt aus demselben zugleich ersehen, dass dazu gerade keine Geistesgewecktheit er-fordert wird. Denn das Schauen des Geistes ist ein ganz verschiedenes von dem der Seele. Wie sich aber das Schauen des Leibes zu dem Schauen der Seele verhält, so verhält sich auch das Schauen der Seele zum Schauen des Geistes.“ [HiG.01_41.03.21,01-12]
„Menschen mit dem sogenannten zweiten Gesicht sind nicht als Wieder-geborene zu betrachten bloß wegen ihres zweiten Gesichts, das nur eine Folge ihres Nervensystems ist, durch das die Seele leicht vermittelst des Nervengeistes Anschauungen aus ihrem Seelenreich in den Leibesorganismus überträgt, weil eben dergleichen leicht erregbare Nerven in dieser Sache nicht hinderlich wirken. Starke Nerven können das freilich nicht, daher auch starknervige Menschen selten oder gar nie das sogenannte zweite Gesicht haben.
Das zweite Gesicht ist daher bei einem Menschen, der es besitzt, weder als etwas Gutes noch als etwas Schlechtes zu betrachten, sondern es ist eine Art Krankheit des Leibes, zu welcher die Menschen meistens durch allerlei widrige Ereignisse im Verlauf ihres irdischen Lebens gelangen. Große Traurigkeit, lang anhaltende Angst, große Schrecken und dergleichen mehr sind gewöhnlich die Ursachen davon, manchmal aber auch künstliche Mittel als Magnetismus, Berauschung und dann und wann Betäubung durch einige narkotische Kräuter. Kurz und gut, dergleichen Zeichen sind durchaus nicht als Zeichen der Wiedergeburt zu betrachten, was schon aus dem zu entnehmen ist, dass dergleichen Visionäre ihre geschauten Bilder wohl ungefähr so erzählend darstellen, wie sie ihnen zu Gesicht kamen, aber es liegt in all ihren Erzählungen nirgends ein Grund vorhanden auf den sie gebaut wären, und dann entbehren dergleichen Erzählungen, wenn sie auch noch so seltsam klingen, allen Zusammenhang und liegen untereinander wie Blätter in einem Wald, wenn sie den Bäumen ent-fallen sind. Der Grund aber liegt darin, weil bei dergleichen Individuen ihr Geist und ihre Seele noch nicht miteinander verbunden sind, so liegt auch in ihren Anschauungen kein Grund und keine Verbindung als anschaulich und wohlbegreiflich vor jedermanns Augen, während aus dem Mund eines Wieder-geborenen, wenn auch zum Teil nur erst jede Darstellung geistiger Dinge den rechten Grund und den vollsten Zusammenhang bekundet.“ [Er.01_070,19-21]
Ein reiner Engelsgeist zu Jüngern Jesu, die von Ihm in das Schauvermögen des zweiten Gesichts versetzt wurden (GEJ.06_189,01-02):
„Deine Sehe ist dir nun wohl so weit aufgetan, dass du mit dem Auge deiner Seele uns reine Geister schauen kannst, aber auch das nur so, weil wir uns aus eurer Lebensaußensphäre gewissermaßen einen substantiellen Leib angezogen haben. Wären wir als pure Geister bei euch, so würdet ihr uns trotz eures nunmaligen zweiten Gesichts dennoch nicht sehen. Wenn ihr aber dereinst im reinen geistigen Schauen sein werdet, was ihr das dritte Gesicht oder die innerste Sehe des Geistes nennen mögt, dann könnt ihr uns wohl als reine und purste Geister sehen. […] Mit der Zulassung des Herrn aber können wir bei euch Menschen schon auch auf eine kurze Zeit das bewirken, dass ihr vollwachen Geistes werdet und so ins dritte und somit ins höchste und reinste Schauen verzückt werdet.“ [GEJ.06_191,02-04]