SCHRIFTTEXTERKLÄRUNG
"Und sie führten das Füllen zu Jesus."
Matthäus 21,7
Kurz, aber gut ist der Text; den können wir gerade sehr gut brauchen, - denn er zeigt im lebendig-klaren Bilde, mit beiden Händen zugleich begreiflich, was da für unsere Sache taugt!
Sie führten die Eselin zu Ihm hin, belegten dann dieselbe mit ihren Kleidern, und dann erst setzte Sich der Herr auf die Eselin.
Die Eselin war angebunden, als sie die Jünger fanden, und war noch das Eigentum eines Menschen in der Welt. Was will das sagen? - Solches bezeichnet die gebundene Einfalt, Demut und Liebe, welche noch von der Welt gebunden ist, oder den Geist im Menschen, der noch nicht frei gemacht ward, obschon er seiner demütigen und liebevollen Beschaffenheit wegen völlig zum Herrn gewendet ist und somit seine ganze Bestimmung in und für den Herrn ist. Da aber der Herr sieht einen solchen Geist, da sendet Er alsbald Seine Diener hin, dass sie ihn frei machen und hinführen zum Herrn, und die Welt hat alsbald alles scheinbare Recht und alle Macht auf den verloren, zu dem der Herr spricht: »Ich bedarf seiner!«
Warum ist es denn aber eine Eselin und kein Esel? - Weil das Weiblein hier noch schärfer die tiefste Demut bezeichnet und die fruchtbare Liebe als das Männlein!
Nun befindet sich die Eselin beim Herrn; und die Jünger bedecken sie mit ihren Kleidern. - Dieses bezeichnet, wie die wahre Demut und fruchtbare Liebe, sobald sie zum Herrn gelangt ist, sogleich mit der wahren Weisheit bekleidet wird. Denn Kleider bezeichnen die Weisheit in ihrer Nutzwirkung. Je einfacher sie sind, einen desto höheren Grad der Weisheit aus dem Herrn bezeichnen sie auch; denn die alleinige Liebe und Demut ist nackt.
Wenn darüber sehr ausgezeichnete und prachtvolle Kleider kommen, so bezeichnet das, wie die Weisheit größer und stärker ist als die Liebe, darum auch z.B. die Engelsgeister in dem Weisheitshimmel mit übergroßer Pracht bekleidet sind; aber die Engelsgeister des höchsten Himmels, die pur Liebe zum Herrn sind, erscheinen höchst dürftig bekleidet, ja manchmal ganz nackt, besonders wenn ihre Liebe zum Herrn den möglich höchsten Grad erreicht hat.
Also bezeichnen auch hier die dürftigen Kleider der Jünger, mit denen die Eselin bedeckt ward, die reine göttliche Weisheit, und wenn solche fruchtbare Liebe aus ihrer Demut heraus mit solcher rein göttlichen Weisheit bekleidet wird, dann erst ist sie vollkommen tauglich, den Herrn aufzunehmen und zu tragen, und ist mit dem Herrn dann auch völlig eins.
Solche fruchtbare Liebe, mit der Weisheit bekleidet, trägt den Herrn; der Herr aber leitet sie Selbst, damit sie unmöglich je irgendeinen Fehltritt machen kann, und der Ritt geht dann schnurgerade auf die Stadt Gottes zu, welche bezeichnet das ewige Reich Gottes oder das wahre ewige Leben! - Hier ist das Bild und seine Bedeutung.
Man wird sagen: »Es ist alles richtig dargestellt; aber also, wie es da ist, sehen wir noch nicht recht ein, wie es für unsere Sache taugen sollte!«
Ich aber sage: Wenn das Licht einmal da ist, da möget ihr es stellen, wohin ihr wollet, und es passt überall also hin, als wenn es schon von Ewigkeit für diesen Punkt bestimmt wäre! Versuchet das nur einmal mit einer Kerze, so sie brennt! Stellet sie auf verschiedene Punkte in euerm Zimmer, und sie wird nirgends wie fremd und unheimlich erscheinen, sondern wird überall recht freundlich hinpassen.
Also wechseln ja auch die verschiedenen Sterne am Firmamente wenigstens scheinbar für euer Auge fortwährend den früheren Platz; könnet ihr aber sagen, ob sich etwa der Orion im Aufgange oder im Mittage oder im Abende des Firmamentes besser ausnimmt? Wo er steht, da erscheint er schon auch auf seinem eigentümlichsten Platze. Ebenso nimmt sich auch die Sonne überall gleich herrlich aus; und wo ihr Licht hinfällt, da verrichtet sie den gleichen Dienst.
Geradeso aber verhält es sich auch mit dem hell angefachten Lichte unseres Textes. Ihr könnt dasselbe hinsetzen, wohin ihr wollet, so wird es überherrlich also genau passen, als wäre es alleinig dafür gegeben. Ob es nun auch für unsere Sache passt, wollen wir sogleich einen Versuch machen; und wir werden es hinzustellen, und es wird allda also sich ausnehmen, als wäre es nur einzig und allein dafür gegeben. Und so höret denn; wir wollen's versuchen!
Frage: Hätte der Herr Sich nicht ebenso gut können ein Pferd oder wenigstens einen wohl zugerittenen Esel statt der Eselin bringen lassen? - Sicher; jedes Tier hätte dem Herrn in diesem Falle unwiderstehlich denselben Dienst leisten müssen. Ein Löwe, ein Tiger, ein Panther, ein Kamel, ein Elefant, ein Pferd, ein Maulesel, alles das wäre fürs erste viel stärker gewesen und hätte dem Herrn der Unendlichkeit, dem allmächtigen Schöpfer aller Dinge, auf einen Wink gehorchen müssen; und dazu wäre ein solcher Ritt doch offenbar ansehnlicher gewesen als der auf einer schwachen Eselin.
Das wäre allerdings wahr, bloß ad hominem (menschlich) genommen; aber ad Dominum (beim Herrn) verhält sich die Sache anders. Derjenige, der die Grundordnung und Grundbedeutung aller Dinge ist, handelte nicht wie ein Mensch, dem es so oder so gleich ist, sondern bei Ihm war alles in der unverrückbarsten Ordnung vorbildend und für die Ewigkeit belehrend.
Diese kräftigeren Tiere bezeichnen zumeist Erkenntnisse und Weisheit für sich; aber es fehlt ihnen das Fruchtbare der Liebe und die Demut derselben in ihrer tiefsten Einfalt.
Hätte der Herr ein solches Tier gewählt, so hätte Er dadurch tatsächlich angezeigt, dass sich der Mensch nur vorzüglich auf die Bereicherung der Wissenschaften, auf alle möglichen Erkenntnisse und auf alle Weisheit daraus hinwerfen solle. Ja, Er hätte ihm dadurch angezeigt, dass er alle Bibliotheken der Welt oder wenigstens so viel als möglich durchstudieren solle; allein der Herr wusste, was Er tat, und es blieb hier derjenige Grundsatz feststehend, den der Herr schon im Anfange aufgestellt hat, indem Er sprach: »Sobald du vom Baume der Erkenntnis essen wirst, wirst du sterben!«
Aber eben dadurch, dass der Herr eine mit dürftigen Kleidern bedeckte Eselin ritt, zeigte der Herr bildlich und tatsächlich allen Menschen an, dass sie geistig dasselbe tun sollten und allein auf die fruchtbare wahre Liebe aus ihrer Demut heraus halten sollten; dann wird sie der Herr frei machen von aller Welt und wird sie mit Kleidern der wahren Weisheit bekleiden und Er Selbst wird sie also führen, wie sie Ihn trägt, solche Liebe nämlich, in ihrem Herzen und auf dem Rücken ihrer Demut.
Aber nicht Pferde, Elefanten, Kamele, Löwen, Panther und Tiger soll der Mensch reiten; oder auf Deutsch: Nicht nach Erkenntnissen und nach Gelehrtheit und Weisheit soll der Mensch jagen - denn das alles ist Frucht des Erkenntnisbaumes, sondern in der wahren Liebe und Demut soll der Mensch des Herrn harren! Und wenn es zur rechten Zeit sein wird, wird der Herr kommen und wird ihn frei machen und wird segnen dann den Baum der Erkenntnis; oder die Eselin wird mit den Kleidern belegt, und der Mensch wird dann von diesem gesegneten Baume alle Frucht der wahren Weisheit für Ewigkeiten genießen können!
Schrifttexterklärungen Kapitel 15