Das Leiden des Herrn -
Fasten, Armut, Liebe
Wenn ihr so fragt,
so fragt ihr recht; denn in solchen Fragen liegt dasjenige zu Grunde, was jedem
Menschen am meisten Not tut. Ihr habt zwar euer leichtes Anliegen nicht in der
Form einer Frage gegeben, dessen ungeachtet sind aber die gegebenen Worte
nichts als Fragen aus eurem Herzen, deren sonderheitliche Beantwortung euch
jetzt gegeben wird; die große Antwort aber erst dann, wenn ihr sie durch die
Beobachtung der sonderheitlichen in euch finden werdet, d.h. die
sonderheitliche Beantwortung ist ein Wegweiser, der euch zeigt, wie das
menschliche Leben beschaffen sein soll im Geist und in der Wahrheit voll Liebe
und lebendigen Glaubens, um durch dieses Leben dann sicher gelangen zu können
zum inneren Leben des Geistes, und endlich durch dieses erst zu Mir.
Wer aber zu Mir
gelangen wird, der wird dadurch auch gelangen zur allgemeinen Beantwortung
nicht nur dieser von euch gegebenen Fragen, sondern auch jener unendlichen, die
in diesen vieren enthalten sind. Denn wahrlich, verstündet ihr in eurem Herzen
das große Geheimnis Meines Leidens, alle Engel des Himmels würden
ehrfurchtsvoll und in allerhöchster Freude ewig zu euch in die Schule gehen und
allzeit nach beendigter Schulzeit mit unermesslichen Wundern bereichert
zurückkehren; verstündet ihr in euren Herzen gerecht zu fasten, wahrlich ihr
möchtet nimmer danach fragen, denn durch solches Fasten wäre Ich euch schon
lang ein sichtbarer Vater geworden, allda Ich euch dann mit dem leisesten Hauch
mehr geben könnte, denn sonst mit tausend Worten; verstündet ihr in euren
Herzen, was die wahre Armut ist, wahrlich schon jetzt wärt ihr reicher, wie
manche Fürsten des Himmels; denn es liegt in der wahren Armut ein gar großer
Schatz, welcher mit keinem irdischen Maßstab zu ermessen ist; denn die wahre
Armut ist es, die da ewig gespeist wird mit Meinem Wort, wie ihr es auch lest,
dass das Evangelium den Armen gepredigt werden soll; auch wird die wahre Armut
verstanden so, dass sie gleichlautend ist mit den Hungrigen und Durstigen, die
da ebenfalls aus Meinen Worten vollauf werden gesättigt werden. Und endlich
verstündet ihr erst in eurem Herzen die Liebe, wahrlich, da wäre an euch
erfüllt die große Forderung, die Ich an Meine Apostel gerichtet habe, da Ich zu
ihnen sagte: „Seid vollkommen, wie euer Vater in den Himmeln vollkommen ist.“
Liebe Kinder! Was
meint ihr wohl, was diese Anforderung besagt? Seht, diese Anforderung besagt
nichts mehr, nichts weniger, als bloß die ziemlich große Kleinigkeit, dass der
Mensch vollkommen Mir in allem gleichen soll. So ihr nur einen allerleisesten
Begriff von Meiner Größe, Macht und Kraft und von allen Meinen unendlichen
Vollkommenheiten euch machen könnt, so werdet ihr euch wohl auch davon einen
kleinen Begriff machen können, was das heißen will, wenn Ich zu euch sage, dass
auch ihr so vollkommen werden solltet, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist.
Wenn aber der Sohn die Seinen zu Miterben gemacht hat, auf dass Er vollkommen
brüderlich teile das große Erbe vom Vater, so will auch das nichts anderes
sagen, als dass die Seinen zu derselben Gerechtigkeit, zu derselben Macht und
Kraft des Geistes Gottes gelangen sollen, welche dem Sohn im Vater und dem
Vater im Sohn von Ewigkeit her innewohnt. Bevor jedoch Ich euch alles dieses
noch etwas näher auseinandersetzen werde, wollen wir zur speziellen
Beantwortung eurer vier Hauptfragen zurückkehren.
Was Mein Leiden
betrifft, so habe Ich so gelitten an Meinem Leib als ein jeder anderer Mensch,
und zwar in derselben Ordnung, wie ihr es lest in den Evangelien. Weil aber
das menschlich leidende Ich noch ein anderes göttliches Ich in sich schloss, so
war dieses Leiden auch ein doppeltes, nämlich das äußere leibliche und das
innere göttliche! Worin das äußere Leiden bestand, wisst ihr; aber worin das
göttliche Leiden bestand, das ist eine andere Frage. Damit ihr euch davon einen
Begriff machen könnt, so denkt euch, was das heißen will, wenn der unendliche
Gott in dieser Leidensperiode Sich aus Seiner unendlichen und ewigen Freiheit
zurückzog, und in dem Herzen des leidenden Sohnes oder Seiner Liebe Seine Wohnung
nahm. Nun seht, Mein Äußeres wurde durch die bitteren Leiden bis auf den Punkt
des Todes gedrückt; die im Herzen sitzende Gottheit aber musste den Tod und die
Hölle von dem innersten Punkt aus besiegen. Nun denkt euch den leidenden
Gottmenschen, der da nun gestellt war zwischen zwei Feuer: Von außen her
drückte Mich der Tod und die Hölle mit all ihrer Gewalt so lange, bis Mein
natürliches Leben bis zu dem innersten Punkt Meines Herzens getrieben wurde,
von innen aus aber wirkte diesem Druck die Gottheit mit all Ihrer unendlichen
Macht und Kraft entgegen, und ließ sich nur durch die Liebe selbst bis auf
einen Punkt zusammentreiben. Nun denkt euch wieder: Dieselbe Macht und die
selbe Kraft, welche mit einem Hauch alles, was da lebt und schwebt in der
ganzen Unendlichkeit in einem Augenblick zerstören könnte, dieselbe Macht und
Kraft, die alle Ewigkeiten und Unendlichkeiten nicht erfassen, die die ganze
unendliche Schöpfung aus sich werden hieß, oh hört, dieselbe Macht und Kraft in
ihrer vollsten Allheit hat sich so weit aus ihrer Unendlichkeit heraus, wie
schon gesagt, auf einen Punkt beengen lassen, welche Beengung die größte
Demütigung der Gottheit in Mir freiwillig war. Wenn ihr dieses nur ein wenig in
eurem Herzen zu fassen im Stande seid, welchen leidenden Kampf Ich da als die
ewige Liebe zu bestehen hatte, so werdet ihr euch wohl auch einen kleinen
Begriff machen können, was alles unter Meinem Leiden verstanden wird. Dieses
Leiden dauerte bis auf einen Punkt, bis Ich am Kreuz ausrief: „Es ist
vollbracht! Vater, in Deine Hände empfehle Ich Meinen Geist.“ oder mit anderen
Worten: „Sieh Vater! Deine Liebe kommt zu Dir zurück.“, und sobald wurden von
der unendlichen Macht Gottes alle Bande des Todes und der Hölle zerrissen;
hinaus stürmte die ewige Macht mit verunendlichfältigter Gewalt, die ganze Erde
bebte angerührt von der Allgewalt Gottes; freiwillig öffnete sie ihre Gräber
und trieb die Gefangenen zum Leben hervor, und weiter drang dieselbe Allgewalt
über alle sichtbare Schöpfung hinaus, erfüllte in dem Augenblick die
Unendlichkeit wieder, und alle Sonnen in allen endlosen Räumen zogen ihr Licht
aus übergroßer Ehrfurcht vor der sie neu berührenden Allgewalt Gottes in sich
zurück. Dass aber die Gottheit bei diesem neuen Austritt in dem Augenblick
nicht alles zerstört und vernichtet hatte, war allein die Liebe Schuld, die da
nun vollends wieder mit Ihr vereinigt war.
Nun seht, Meine
lieben Kinder! Das ist, so viel ihr es fassen könnt, zu verstehen unter Meinem
Leiden; allein es liegt aber noch Unendliches darin verborgen, daran ihr
Ewigkeiten genug zu erforschen haben werdet, und das zwar immerwährend Größeres
und Unendlicheres; denn was Ich euch jetzt gesagt habe, verhält sich zur
Vollheit gerade so wie ein Punkt zur Unendlichkeit. – Wenn ihr aber fastet, da
fastet in der wahren Verleugnung eurer selbst aus reiner Liebe zu Mir an allem,
was die Welt euch bietet, so werdet ihr durch solches gerechtes Fasten zu dem
Brot des Himmels gelangen. Wie aber eine Braut am Hochzeitstag alle ihre
früheren Kleider auszieht, sich wäscht am ganzen Leib, dann ihre Brautkleider
anzieht und sich schmückt mit allerlei Blumen und Edelsteinen, auf dass sie dem
Bräutigam wohl gefalle, so er kommt und sie führt in sein Haus, ebenso sollt ihr
durch das gerechte Fasten alle eure weltlichen Kleider ausziehen, euch waschen
mit lebendigem Wasser, und anziehen dann Kleider der wahren Liebe, der
Unschuld, aller Demut, und euch schmücken mit allerlei Blumen aus Meinem Wort
und aus eurem lebendigen Glauben, wie auch mit kostbaren Edelsteinen aus den
Werken der Liebe; und wenn sodann der große Bräutigam kommen wird, und wird
euch treffen so wohlbereitet, da wird auch Er tun, das von dem bildlichen Bräutigam
gesagt wurde, und wenn ihr euch dann in dem Haus des Bräutigams befinden
werdet, da wird Er euch eine Schatzkammer auftun und euch beschenken mit den
unermesslichen Schätzen des ewigen Lebens, welches da ist eine Folge Meines
bitteren Leidens oder der Erlösung.
Und was das Fasten
ist, das ist auch die Armut, denn wahrlich, wer nicht arm geworden ist an
allem, was Welt ist, der wird nicht eher in Mein Reich eingehen, als bis er
den letzten Heller der Welt zurückgegeben hat. Seht, das ist also die wahre
Armut im Geist und in der Wahrheit. Dass da die freiwillige Armut einen
unendlichen Vorzug hat vor der genötigten, versteht sich so sehr von selbst,
dass eine nähere Erörterung darüber im höchsten Grad überflüssig wäre, und kann
daher die genötigte Armut nur durch die gänzliche Ergebung in Meinen Willen und
in Meine Liebe der freiwilligen gleichkommen.
Nun aber fragt
euch: Wie ist das Verhältnis der Braut zu ihrem Bräutigam, für den sie keine
Liebe hegt im Herzen? Wird sie sich wohl auch so schmücken für die bewusste
Stunde, da sie weiß, dass der Verachtete kommen wird? Wird sie diese Stunde mit
der großen Sehnsucht ihres Herzens erwarten? Ich sage euch: mitnichten; denn
sie wird diese Stunde in ihrem Herzen verwünschen und verfluchen; sie wird
sich nicht waschen, sondern sich eher beschmieren mit allerlei Schmutz; und
wird anbehalten ihre Alltagskleider und ihr Haupt bestreuen mit Asche, in der
Meinung, wenn der bewusste Bräutigam kommen wird, so wird er sich entsetzen vor
ihr, und wird ablassen von seinem Begehren, und wahrlich, wenn der Bräutigam
kommen wird, und wird so treffen seine Braut, Ich sage euch, er wird sie nicht
nehmen, so er Mir gleicht, sondern wird die Lieblose bereitwilligst dem
überlassen, dem sie ihre Liebe zugesagt hat. Nun seht, da eine Braut sich nur
schmückt für den rechten Bräutigam, so sie ihn liebt, so wird euch auch wohl
sehr leicht klar werden, dass ohne Liebe zu Mir an kein Fasten und keine Armut
zu denken ist, und somit auch an keine hochzeitliche Ausschmückung, da wird
auch kein Nachhauseführen der Braut erfolgen, welches Nachhauseführen nichts
anderes als die Erlösung vom Tod zum Leben ist. Seht, wie sich da eure Fragen
verhalten! In Meinem Leiden ist die Liebe; das Fasten und die Armut ist das
Leiden der Liebe; und das Leiden der Liebe ist die Ausschmückung derselben, und
in der Ausschmückung, welches das Leiden ist, ist die Erlösung; somit ist die
Liebe, das Leiden und die Erlösung eines und dasselbe. Wer demnach so liebt,
wie es euch gezeigt worden ist, der hat sich der Erlösung teilhaftig gemacht,
und sein Teil wird gleich sein dem Meinem. Gleichwie aber der Bräutigam all
seine Güter vollkommen teilt mit seiner Braut, so wird es auch sein in Meinem
Haus; alsdann werdet ihr erfahren, was das heißt: „Seid vollkommen, wie euer
Vater im Himmel vollkommen ist“. Amen. Das sage Ich, eben derselbe Vater im
Himmel! Amen.
Festgarten, „Das Leiden des Herrn“ S.1